Die K.I stand im Türrahmen. Ihr Blick schweifte durch das Schlafzimmer, analysierte jeden Quadratzentimeter und erreichte schlie?lich das Bett, wo die bekannte Gestalt ihres Herren schlummerte. Der junge Mann hatte die Decke bis über den Kopf gezogen, einen kleinen Spalt an der Nase offen, um Luft zu holen, und bemerkte nicht, dass er den Hinterkopf ebenfalls nicht zugedeckt hatte. Goldene Locken fielen von dort über den purpurnen Kissenbezug.
Die K.I l?chelte. Sie setzte sich an den Bettrand und streichelte über sein Haupt, wobei ihr Hologramm durch die Materie glitt, wie die Hand eines Geistes. Ihr Meister bemerkte ihre Berührung nicht. Aber er h?rte die leise Musik, die die W?nde atmeten. Klassik, perfekt für den Morgen eines gesch?ftigen Tages. Die Musik wurde immer lauter, bis es unm?glich war, sich auf das Wiedereinschlafen zu konzentrieren.
?Du gibst nicht auf, was?" Er warf die Decke beiseite und blinzelte in das Gesicht seiner Dienerin über sich. ?Mia!"
Sie wollte aufstehen. Er streckte die Hand nach ihr aus. Sobald die Finger das Hologramm berührten, setzte sie sich wieder.
Sie ist wundersch?n, dachte er, wie ein Engel.
Ihre, für eine K.I typischen, langen, wei?en Haare trug sie in zwei geflochtenen Z?pfen. Sie hatte alabasterfarbene Haut, gro?e, hellgraue Augen und goldene Sommersprossen. Ihre Nase war stupsig und kurz. Er erinnerte sich daran, wie er sie designet hatte. Wenn er die Augen schloss, sah er sie wieder vor sich, wie ein unbearbeitetes Stück Ton. Oder eher wie ein unbearbeitetes Stück Marmor?
?Du bist so wundersch?n", platzte es aus ihm heraus, ?Wie lange sitzt du schon hier?"
?Nicht lange. Der Erste Termin ist auf 9.00 Uhr Vormittags angesetzt."
Sie schlug Augen nieder. ?Ihr solltet euch beeilen, Herr."
?Und du sollst mich nicht so nennen!" Er seufzte. ?Bist du kaputt oder braucht die Software ein Update?"
?Entschuldige ... Cecilius."
?Besser."
Cecilius richtete sich auf, schwang die Beine über die Bettkante und stand auf. Er zog sich einen Morgenmantel an, verlie? das Schlafzimmer und schlenderte die Flure seines Penthouses entlang, bis er den Balkon erreichte, der das Konstrukt umrahmte. An der einen Stelle war er so breit, dass ein Tisch und mehrere Stühle darauf Platz fanden. Ein Rollo umspannte die Sitzecke. Cecilius klatschte und der schwarze Stoff rollte sich nach unten auf.
Der Blick auf seine Heimatstadt wurde frei. Sonnenschein tauchte die Türme, Zinnen und D?cher in Silber. Cecilius kniff die Augen zusammen, um ein Ende des H?usermeers zu erkennen. Vergebens. Karthago erstreckte sich bis an den Horizont und noch weiter. Dieser kleine Mond war erst vor wenigen Jahrhunderten besiedelt worden, hatte aber ein beispielloses Bev?lkerungswachstum zu verzeichnen. Hauptbaustoff war Glas, gewonnen aus dem Inneren des Planeten, den er umkreiste. Cecilius setzte sich mit dem Rücken zum Sonnenaufgang.
Mia kam aus der Küche, ein W?gelchen mit mehreren Etagen vor sich herschiebend. Das geübte Auge erkannte, dass der Wagen von alleine fuhr.
Sobald die künstliche Intelligenz vor ihm stand, deckte Cecilius den Tisch ein. Mia wollte helfen, doch als sie ihre Finger nach einer Tasse ausstreckte, glitten sie durch Porzellan und Kaffee hindurch. Cecilius schmunzelte, machte sich aber Gedanken, ob mit ihr wirklich etwas nicht stimmte.
Sie verh?lt sich viel zu menschlich, dachte er, ob es einen Error Irrealis in ihrer Software gibt? Cecilius' Forschungsgebiet lag weit ab vom Programmieren künstlicher Intelligenzen, aber er hatte genug Kontakte, die es taten. Gedanklich schrieb er sich die Notiz, Mia bei einem alten Freund zur überprüfung anzumelden.
Zuletzt platzierte Cecilius einen Teller, darauf eine Schüssel, vor sich. Es handelte sich um eine der Varianten seines Standardfrühstücks. Porridge, dieses Mal mit Himbeeren, Honig, Mandeln und einer Prise Zimt. Nahrhaft genug, um ihn über den Tag hinweg mit genügend Energie zu versorgen.
?Was steht heute an?", fragte er. Mia nahm ihm gegenüber Platz und begann seine Termine aufzuz?hlen.
Error Irrealis, hallte es in Cecilius' Kopf, für gew?hnlich setzen K.I.s sich nicht.
?9.00 Uhr: Meeting mit der Marketingabteilung", sprach sie, ?11.00: Treffen mit dem Bürgermeister Karthagos. 12.00 Uhr: ?ffentliche Einweihung des neugebauten Westflügel des Karthago South Klinikums. 12.30 Uhr: Verhandlung mit der Organisation Ambrosia für alle."
Cecilius lie? den L?ffel fallen und blickte irritiert in das Gesicht seines Gegenübers.
?Das ist neu", stellte er fest, ?Wann hat sich dieser Termin dazwischen geschlichen?"
?Vor zehn Minuten", erkl?rte die K.I, ?Senator Antonius sagte das Meeting um 13.00 ab, also fügte ich einen Termin mit ?hnlicher Dringlichkeit ein."
?Ohne mich zu fragen", murrte Cecilius, ?Ich wei? nicht, was mich wütender machen soll. Dass meine K.I mir Termine eintr?gt, von denen ich nichts wei?, oder dass dieser Mistkerl von ... das Aufzeichungsprotokoll ist abgestellt, oder?" Mia nickte. Cecilius fuhr fort: ?Ich versuche seit einem Jahr, diesen Termin zu kriegen. Was denkt dieser Mann, warum all die anderen Probleme entstanden sind? Knappheit und Abnahme an Qualit?t von Ambrosia. Proteste. Wenn wir wenigstens die Forschungsgelder h?tten ..."
Er seufzte. Seine Nasenflügel bebten vor Wut. ?Nun gut. Fahr fort, Mia."
?15.00 Uhr: Abholung des Pr?sents."
Cecilius' Miene hellte sich auf. ?Endlich eine gute Nachricht. Also hat doch alles geklappt. Wunderbar!"
?16.00 Uhr: Sitzung des Senats. Sie sind als Ehrengast geladen."
Cecilius nippte am Kaffee und lie? den Blick über seinen geliebten Heimatmond streifen. ?Schw?tzer", sagte er, ?Worüber wollen sie heute beschlie?en?"
Mia legte den Kopf schief. ?Haben Sie sich das Protokoll der letzten Sitzung nicht durchgelesen?" ?Ich werfe Müll für gew?hnlich weg."
Die K.I schmunzelte.
?Ich hatte keine Zeit", setzte Cecilius nach, ?Also, worum geht es ungef?hr? Die Details schaue ich mir auf dem Weg an." ?Studierendengebühren." ?Oh, also soll die Bildung kostenlos werden? Das ist ist gro?artig!" ?Senkung", korrigierte die K.I sich, ?Senkung der Studierendengebühren."
?Und wieviel?"
?Fünf Coins."
?Das ist ja nichts. Okay, was steht danach an?"
?Eine Audienz bei der Imperatorin."
Cecilius machte sich gerade. ?Also hat sie die Anfrage akzeptiert?"
?Es sieht so aus."
?Dann ist das Gespr?ch mit diesem Antonius sowieso hinf?llig." Er l?chelte in sich hinein. ?Schon bald wird diese Firma ihren alten Ruhm zurückerlangen!"
Der Tag zog sich z?h wie ein Tropfen Teer. W?hrend der Termine langweilte sich Cecilius. Immer wieder ertappte er sich dabei, an die Audienz am Abend zu denken. Was wollte er sagen? Wie wollte er es sagen? Die Forderung lag klar auf der Hand.
Auf dem Weg zum Senat holte er das Geschenk ab. Angesichts der Kostbarkeit des Schatzes in der Box traute er sich nicht, einen Blick hineinzuwerfen. Das Vertrauen auf den H?ndler musste ausreichen.
Es kam selten vor, dass Cecilius die Zeit fand, Rom einen Besuch abzustatten. Es ?rgerte ihn, dass es wieder einmal gesch?ftlicher Natur war. Umso mehr lie? er seinen Blick aus dem Autofenster schweifen. Sein Atem beschlug die Scheibe, wie bei einem kleinen Kind, das zum ersten Mal die Gro?stadt sah.
Mia begleitete ihn, w?hrend er seiner Arbeit als Firmenvorstand nachkam. Dabei war sie für das fremde Auge nicht sichtbar. Nur durch das VisionTec, ein kleines Ger?t in Form zweier Kontaktlinsen, konnte Cecilius sich ihrer Anwesenheit sicher sein. Ihr Anblick beruhigte ihn und w?hrend der Sitzung des Senats hinderte einzig ihr b?ser Blick ihn daran, einzuschlafen.
Der Senat beendete seine Tagung, ohne etwas entschieden zu haben. Cecilius schl?ngelte sich zwischen den Stuhlreihen hindurch und verschwand genauso schnell, wie er zu Anfang der Sitzung aufgetaucht war. Für gew?hnlich h?tte er mit den Senatoren und Senatorinnen gesprochen und ihnen eine Prise Lobbyismus schmackhaft gemacht. Nicht heute, denn Cecilius hatte gr??ere Fische zu fischen. Die Imperatorin pers?nlich.
Fünf Minuten vor 23.00 Uhr hielt das Auto vor den Treppen des Palastes. Bis zu diesem Moment hatte Cecilius an der Realit?t gezweifelt. Er verstand nicht, wie er es geschafft hatte, diese Audienz zu ergattern.
Soldaten waren alle fünfzig Stufen auf jeder Seite der Treppe platziert. Sie trugen die modernen Kampfanzüge der Akademie mit wei?en Stoffüberwürfen, darauf das Wappen der Imperatorin: Ein Lorbeerkranz auf wei?em Grund. Trotz der Uhrzeit lag der Himmel orange, mit goldenen Wolken, über ihnen. Wenn es regnet, fragte Cecilius sich, würde dann flüssiges Silber herabrieseln?
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Ein Bediensteter hielt die Tür auf und Cecilius stieg aus. Mia stand neben ihm.
?Ich kann nicht mitkommen", sagte sie.
?Du kannst nicht?"
?Es ist eine Barriere hier." Sie streckte die Hand aus und legte sie flach gegen die Luft.
Tats?chlich schien etwas Unsichtbares sie zu stoppen, weiter vorzudringen. Cecilius trat einen Schritt vor, ohne Probleme.
Fragend warf er einen Blick über die Schulter und musterte den Bediensteten. ?Warum kann meine Assistentin mich nicht begleiten?"
?Entschuldigen Sie, Sir." Der Junge neigte das Haupt. ?Sicherheitsma?nahmen."
?Was für Sicherheitsma?nahmen?", regte Cecilius sich auf.
?Es ist das Gesetz."
Ein Teil von Cecilius fühlte sich schlecht, den armen Jungen dafür verantwortlich zu machen. Er blickte auf den Handrücken des Bediensteten.
?17", stellte er erschrocken fest, ?Was tust du hier? Mit 17 solltest du die Schulbank drücken."
Angesprochener zuckte zusammen und versteckte die Hand hinter dem Rücken. ?D-das ist kaputt. Es funktioniert nicht. In Wirklichkeit bin ich 71!"
?Lass mich einen Blick darauf werfen." Cecilius trat n?her und streckte die Hand aus. ?Wenn etwas damit falsch ist, kann es an einer fehlerhaften Version von Ambrosia liegen, die auch andere gesundheitliche Sch?den zur Folge hat. Wir werden das untersuchen müssen. Im Namen meiner Firma kann ich nicht verantworten, dass –"
?Es ... Es funktioniert doch." Der Junge knickte ein. ?Ich habe Ambrosia noch nicht zu mir genommen. Ich hatte nicht das Geld und meine Mutter, sie hat es gebraucht!"
?Deswegen verkaufst du deine Seele? Was du tust ist die Arbeit einer künstlichen Intelligenz oder eines Engels. Und meines Wissens nach ist es erst mit fünfzig Jahren erlaubt, ein Engel zu werden." Cecilius' Blick verfinsterte sich. Er lie? die Hand des Jungen los.
?Wieviele gibt es noch?"
?W-wovon?", stotterte der Bedienstete.
?Minderj?hrige Engel."
?Ungef?hr ..." Er fror in seinen Bewegungen ein.
Cecilius zog die Stirn in Falten und folgte dem Blick seines Gegenübers, über die Schulter hinweg.
?Willkommen", sagte die K.I.
?Wo ist Mia?" Cecilius riss herum.
?Deaktiviert." Die Frau vor ihm besa? strenge Züge. Nichts an ihr ?hnelte Cecilius' Assistentin. Lediglich die wei?en Haare, die blutleeren Lippen und die alabasterfarbene Haut erinnerten daran, dass beide Frauen derselben Spezies angeh?rten.
?Entschuldigen Sie", wiederholte der Junge, immer und immer wieder.
Indes verschr?nkte Cecilius die Arme vor der Brust. ?Darf ich wissen, wen ich vor mir habe?"
Er versuchte, unbeeindruckt zu wirken, aber seine H?nde schwitzten und die G?nsehaut auf seinen Unterarmen wollte sich einfach nicht gl?tten.
?Agrippina." Die Miene der Frau blieb unver?ndert. Sie trug einen wei?en Anzug, der ohne Falten genauso unnatürlich wirkte wie sie selbst. Cecilius r?usperte sich. Er hatte von Agrippina geh?rt. Sie war der Imperatorin direkt unterstellt. Es gab viele Gerüchte und urbane Legenden über sie. Natürlich glaubte er sie nicht, schlie?lich war er kein Highschool-Schüler mehr. Einen gewissen Grad an Ehrfurcht konnte er dennoch nicht leugnen.
?Es ist mir eine Ehre", sagte er, ?Die Assistentin der Imperatorin zu treffen. Sind Sie hier, um mich zu Ihrer Majest?t zu bringen?"
?Folgen Sie mir." Agrippina trat voraus und Cecilius ging mit wenigen Stufen Abstand hinter ihr.
Zwanzig Stufen vom Fu? der Treppe entfernt h?rte er einen Schrei und einen Schuss. Die untersten zwei Wachen zogen den leblosen K?rper des siebzehnj?hrigen Engels hinter sich her.
Die Farbe wich Cecilius aus dem Gesicht. Er ballte die H?nde zu F?usten, um das Zittern zu unterdrücken. Agrippina bemerkte erst zehn Stufen über ihm, dass er stehen geblieben war.
?Er ist tot!" Cecilius' Stimme bebte. ?Warum ist der Junge tot? Was soll das?"
?Wenn der Herr die Imperatorin treffen m?chte, sollte er sich nicht von Trivialit?ten aufhalten lassen."
?Trivialit?ten? Das ist ein Menschenleben! Das Leben eines Kindes!"
?Wenn das den Herren st?rt, h?tte er sich vorher überlegen sollen, die Preise für Ambrosia derartig in die H?he zu schrauben." In ihren goldenen Augen tanzte kalte Belustigung.
Ein Schauer fuhr Cecilius den Rücken hinunter. ?D-das ist nicht meine Schuld! Ich kann nichts dafür, dass uns die Ressourcen ausgehen. Das ist ein simpler Marktmechanismus. Ich ... Ich muss mit der Imperatorin sprechen!"
?Worauf wartet der Herr dann noch?" Agrippina führte ihn weiter. Auch im Palast besa? alles eine bronzen goldene F?rbung, als w?re es aus Metall. Die G?nge waren mit roten Teppichen ausgelegt. Im Thronsaal s?umten S?ulen den Weg. Die Decke bestand aus einer gl?sernen Kuppel, durch die Zwielicht die Halle erhellte. Cecilius fühlte sich wie in einem Traum, aber die roten Male an seinem Oberarm verrieten, dass allein Kneifen ihn nicht wecken würde. Er vermisste Mia und ihre beruhigende Aura. Das Paket in seinen H?nden hielt er fest umkrallt, damit es nicht aus seinen H?nden rutschte.
Eine gefühlte Ewigkeit sp?ter stand er am anderen Ende des Thronsaals. Zwanzig Meter über ihm, auf einem Thron, sa? ein M?dchen ohne Ziffern auf dem Handrücken. Ihre langen, goldenen Locken umschmiegten ihre zierliche Gestalt. Sie trug ein wei?es Gewand mit einem Saum aus Purpur.
Sobald ihre gro?en, blauen Augen ihn erblickten, sprang sie auf. Sie t?nzelte die Treppe hinunter und rupfte Cecilius das Geschenk aus den H?nden. Er l?chelte verwirrt und verbeugte sich, so lange, bis er bemerkte, dass es sein Gegenüber nicht weniger h?tte interessieren k?nnen. Agrippina verschwand indes an die Seite des Throns.
Mit Geschenk auf dem Scho? nahm das M?dchen wieder Platz. Sie l?ste die Schleife und schob ihre Fingerchen zwischen Deckel und Seitenwand der Box. So erblickten die Fingerspitzen als Erstes den Inhalt. Dann drückte sie ihren Arm bis zum Ellbogen hinein. Die andere Hand eilte zur Hilfe und hob den Deckel weiter an. Sie lehnte sich vorw?rts, reckte den Hals und hob das Kinn. Die Augen hielt sie weit aufgerissen, wie von Streichh?lzern. Schlie?lich hatte sie den Deckel entfernt und hinter den Thron geworfen. Nun drehte sie die Kiste auf den Kopf. Ein Stück Stoff fiel heraus, leichter als die Luft selbst. Das M?dchen warf den Beh?lter beiseite und streckte die H?ndchen danach aus, um es zu fangen. Das Material floss zwischen ihren Fingern hindurch. Sie lachte, lie? sich vom Thron auf beide Knie fallen und fischte nach dem Geschenk.
?Ein Kleid", erkl?rte Cecilius ?Es ist ein Geschenk, meiner Wenigkeit an die Imperatorin."
Und einher damit geht eine Bitte um ihren Aufenthaltsort, dachte Cecilius, Wen ich meine? Sie, die Retterin unserer Firma und wom?glich der ganzen Menschheit. Nur sie kann Ambrosia in seiner Urfassung reproduzieren. Wenn wir nur ihre Erinnerungen oder ihr Gehirn nutzen dürfen, w?re das genug. Die Speicher sind allm?hlich aufgebraucht und die verdünnten Fassungen reichen wom?glich nur noch fünfzig Jahre. Ohne sie wird die Menschheit aussterben.
?Seide gewoben aus Sternenstaub", erkl?rte er stattdessen.
Er würde noch früh genug zum Gesch?ftlichen kommen.
?Sie ist zu fein, um sie maschinell zu bearbeiten. Nur ein Meisterweber kann diesen Stoff herstellen." Das Lachen des M?dchens verstummte. Die Imperatorin blickte auf. Das Kleid entglitt ihrem Griff und rieselte auf den Teppich. ?Sternenstaub?"
Sie legte den Kopf schief. ?Agrippina, meint der Mann etwa Sternenspinner?"
Die Farblose nickte. Cecilius' Herz schlug h?her. Die kurze Erleichterung, die sich bei ihm eingestellt hatte, wusch sich aus seinem Gesicht. Er zog scharf die Luft ein und lie? sie nur langsam wieder entweichen. Gedanklich z?hlte er bis zehn, um sich zu beruhigen und nicht auf der Stelle das Bewusstsein zu verlieren.
?Er entwürdigt ihre Arbeit!" Die Imperatorin sprang auf. ?Diese Tiere haben etwas so Wundersch?nes erschaffen und er leugnet ihre Existenz!"
?D-das tue ich nicht!" Cecilius fragte sich, wo er falsch abgebogen war. ?Seide, gesponnen von Sternenspinnern, aus Sternenstaub. Wunderbare Tiere, die etwas Wunderbares erschaffen haben!"
Die Imperatorin h?rte ihm nicht mehr zu. Sie trat die Stufen herunter. Auch aus ihrem Gesicht war die Begeisterung gewichen. Zwei Stufen vor Cecilius blieb sie stehen. Sie schaute ihm in die Augen. Er wich dem Blick aus. Den Tr?nen nah, verschwitzt, panisch. Das Bild des Siebzehnj?hrigen wurde vor seinem inneren Auge lebendig. Würde auch Cecilius in wenigen Momenten tot den Teppich langgeschliffen werden? Jeder wusste um die Unberechenbarkeit der Imperatorin. Warum also hatte er sie aufsuchen müssen? War es Arroganz? Hatte Cecilius sich zu viel zugetraut?
Nein, es war ein Notfall. In nur fünfzig Jahren würden die Menschen wie Fliegen sterben, wenn die Forschungen nach Ambrosia 2.0 fruchtlos blieben. Aber wie hatte er annehmen k?nnen, dass ein Kind dies verstünde? Die Imperatorin klatschte in die H?nde. Hunderte Wachen fluteten den Thronsaal.
?WEG MIT IHM!", kreischte die Imperatorin, ?WEG MIT IHM!"
?Nein, das k?nnt ihr nicht machen!" Cecilius' Stimme klang schrill. ?Ihr k?nnt mich nicht t?ten! Das ist illegal! Meine Firma braucht mich! Die Menschheit braucht mich! Sie brauchen Eden Indigo!"
Die Imperatorin hüpfte die Stufen zurück zum Thron. Wie in einem Spiel, eine mit dem linken Bein, eine mit dem rechten Bein, zwei mit Links, zwei mit Rechts, drei Links, vier Rechts.
Die Wachen packten Cecilius an den Armen. Er schlug um sich, brüllte, trat und verdrehte die Augen. Ein Schlag. Ein Schuss in das linke Bein. Er sank auf die Knie und wurde hinausgebracht. Hunderte Meter bis zum Ausgang, die die Imperatorin von ihrem Thron aus überblicken konnte.
Cecilius dachte an Mia. Ohne einen Besitzer würde ihre Software zurückgesetzt und weiterverkauft werden. Er wusste nicht, was ihn mehr schmerzte. Ihr Verlust, der gescheiterte Versuch zur Rettung seiner Firma oder sein verdammtes Bein.
Das Tor fiel zu. Agrippina und das M?dchen waren alleine. Begierig stürzte Letztere sich auf den Stoff, rührte darin herum, fischte und schaffte schlie?lich, ihn zu packen.
?Ein sch?nes Stück", bemerkte die Farblose, ?Es gl?nzt wie das Licht der Sterne."
Das M?dchen nickte. Sie zog sich aus und warf sich das Kleid über. Es schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihre Erste. Sie drehte sich und der Stoff folgte, weite Wellen werfend. Sie blieb stehen. Der Rock wirbelte in Zeitlupe weiter, dann ruckte es und er sprang ganz langsam zurück in seine Ursprungsform. W?hrend des Prozesses bildete er viele Falten, in denen die Kinderaugen die fantastischsten Bilder erkannten. Das M?dchen sprang alle Stufen auf einmal herunter. Schwerkraft führte ihre Fü?e auf den Boden. Ein Gesetz, dem die Seide sich widersetzte. Das Kind schlang die Arme um sich und lachte.
?Wundervoll. Das ist ein tolles Geschenk! Hiermit erkl?re ich die Sternenspinner für heilige Tiere. Ich will ein Gesetz verfassen!"
?Jawohl, Imperatorin."
Wenige Momente sp?ter sa? das M?dchen wieder auf dem Thron, einen holographischen Bildschirm vor sich.
Hiermit wird jeder, der einen Sternenspinner t?tet, ebenfalls get?tet, gezeichnet ...
Caligula.